Diskussion:Siegfried Heim

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Familienchronik "Heims Ahnen"

Vorwort

Du sollst Vater und Mutter ehren, auf daß es dir wohl ergehe auf Erden!

Am 16. September 2001 jährt sich der Geburtstag unseres Vaters Anton Heim zum 100. Mal. Ich nehme dieses Datum zum Anlaß, diese Schrift für seine Kinder und Kindeskinder zusammenzustellen. "Ihr ganzes Leben lang arbeiteten unser Vater und unsere Mutter für ihre große Familie. Das war in den schrecklichen Wirrnissen des 20. Jahrhunderts nicht mehr überall selbstverständlich. Für sie beide schon!

Seine Mutter hat unser Papa schon mit 15 Jahren verloren, den Vater mit 25. Beide hätte er noch lange gebraucht. So mußte er sich manche Lebenserfahrungen hart verdienen. Wenn er uns aus seinem Leben erzählte, klang immer die Achtung vor seinen Eltern und die Liebe zu ihnen durch. Seinen Lebenslauf habe ich den Ahnenreihen vorangestellt und mit ein paar Daten unserer Mutter ergänzt. Über ihr Schaffen in der Bütze möchte ich an anderer Stelle berichten.

Unser Vater war sehr an seinen Vorfahren und Verwandten interessiert. Vielerlei vergilbte Dokumente und Andenken bewahrte er in den Schubladen des Schreibtisches und in den Geheimfächern im alten Stubenkasten auf. Mit besonderer Sorgfalt füllte er den Ahnenpaß aus, der allen Staatsangestellten im Jahre 1938 als Arier-Nachweis vorgeschrieben worden war. Für ihn war es ein Anlaß, in alten Kirchenbüchern zu forschen und sich in die Welt der Vorfahren zu versenken.

Nun habe ich Vaters Ahnenpaß als Grundlage genommen und die einzelnen Familien noch etliche Generationen weiter zurück verfolgt. Bei meiner Arbeit im Gemeindearchiv in Wolfurt fand ich Zugang zu den Wolfurter Pfarrbüchern, die ja auch Bildstein und Buch zurück bis 1650 umfassen. Auf viele sehr interessante Vorfahren bin ich dabei gestoßen, deren Schicksale uns alle berühren. Den Beginn der Familien Haltmayer, Bildstein und Fischer fand ich erst nach langen Forschungen in den Archiven von Bregenz, Hard, Dornbirn und sogar in Friedrichshafen. Er wird hier erstmals den Verwandten vorgestellt und kann deren Stammbäume erweitern.

Die Troy-Ahnen unserer Mutter sind bereits durch ihre Base Anna Troy-Hammerer im Großdorf umfassend erforscht und in einem riesigen Stammbaum aufgeschrieben worden. Eine Kopie davon hat sich Mama besorgt. Sie ist jetzt im Besitz unseres Bruders Friedrich. Daraus habe ich einen Auszug im Anhang als Familie 9 aufgeschrieben.

Das älteste Datum in meinen Unterlagen ist die Inskription des jungen Sebastian Fischer 1572 an der Universität Dillingen. Die meisten anderen Familien lassen sich bis zum Beginn der Kirchenbücher erforschen. Für die Heim und die Gmeinder in Hergensweiler und für die Dür und die Gmeiner in Alberschwende habe ich Vaters Erhebungen, die bis 1740 zurückreichen, nicht erweitert. Es sind trotzdem lange Reihen geworden. Beim ersten flüchtigen Überlesen mögen sie langweilig wirken. Erst ein tieferes Betrachten vermag uns das Leben unserer Ahnen vor Augen zu führen. Hungersnöte, Kriege, Krankheiten und Kindersterblichkeit lassen es oft düster erscheinen. Ganz sicher war darin aber auch Raum für Frohsinn und Feste. Ein paar besonders auffallende Ahnen-Schicksale habe ich eigens herausgehoben.

Wenn ich dieses Buch in die Hände der jungen Familien lege, so verbinde ich damit den Wunsch, sie mögen im beginnenden 21. Jahrhundert erfolgreich voranschreiten. Wenn sie dabei manchmal auf ihre Vorfahren zurück schauen, so könnte ihnen das vielleicht helfen, die Richtung zu bestimmen.

Wolfurt, im März 2001
Siegfried Heim

Anton Heim

16. September 1901 — 21. März 1979

Unser Vater wurde 1901 in dem alten Bauernhaus Nr. 93 in der Bütze geboren. Hierher holte er 1927 seine Frau Frieda und zog dann mit ihr neun Kinder groß. Im gleichen Haus ging sein Leben 1979 zu Ende. Im gleichen Haus: geboren, gelebt, gearbeitet, gestorben! Bei seiner Geburt waren seine fünf älteren Geschwister alle schon tot, gestorben im zartesten Alter an Kinderkrankheiten oder einfach an Lebensschwäche. Kein Wunder, dass ihn nun seine Mutter Franziska mit besonderer Liebe pflegte und ihm, oft unter dem Spott der Spielgefährten, bei jedem kühlen Wind sein Mäntelchen nachtrug! Sein Vater Josef war Bauer, Sticker und Musikant. Aufgewachsen in Hanso Hus neben der Kirchenstiege, hatte er das Tapeziererhandwerk erlernt. Er hatte Süddeutschland durchwandert und bei den Königsschlössern Ludwigs I. gearbeitet. Daheim in Wolfurt hatte er dann die einzige Tochter des Küfers Haltmayer geheiratet und war zu ihr in die Bütze gezogen. Als Tapezierer fand er in einem Bauerndorf kaum Arbeit. Daher betrieb er jetzt die kleine Landwirtschaft mit zwei oder drei Kühen, pflanzte Bodo-Biora und Türggo im Ried, erntete im Guot beim Haus und im Oberfeld viel Obst und arbeitete in Feld, Ried und Wald zur Selbstversorgung der Familie. Als in Wolfurt 1907 das Stickereifieber ausbrach, schaffte sich auch Josef Heim eine große Maschine an. Bis tief in die Nacht arbeitete er mit seiner Frau und einigen Nachbarskindern an der Franken-Mühle. Die einsetzende Krise machte das Unternehmen aber schon im folgenden Jahr zu einem Verlustgeschäft. Vater Josef nahm ein paar Jahre lang an den Sitzungen des Gemeindeausschusses teil. Seine ganze Freude gehörte aber der Musik. Zwei Jahre lang war er sogar Kapellmeister der Blasmusik, sonst aber ein gesuchter Klarinettist mit dem B- oder dem kleineren Es-Glanet. Ja, er spielte sogar das damals sehr seltene Bickele, die winzige Piccolo-Flöte. Als ihm das fortschreitende Alter die vorderen Zähne ausfallen ließ, soll er mit einem zurecht geschnitzten Holzspan hinter der Lippe seinem geliebten Instrument neuen Halt gegeben haben. So groß war Josef Heims Interesse an der Musik, dass er gelegentlich Konzerte in St. Gallen besuchte. Zu Fuß natürlich! Der Hinweg schon etwa 40 Kilometer! Und dann nach dem Konzert und einer Jause aus dem Rucksack noch der lange Heimweg durch die dunkle Nacht! Das war also die Umwelt, in der der kleine Anton als Einzelkind aufwuchs. Drüben auf der anderen Seite der Straße sorgten dagegen bei Zwickles und bei Rists ganze Scharen von Buben für mancherlei Abwechslung. Mit ihnen besuchte er ab 1908 fünf Klassen der Volksschule im Strohdorf. Ein Pfarrer sollte er werden! Da schickte man ihn also zusammen mit seinen besten Freunden Jakob Rist und Johann Zwickle ins Gymnasium nach Bregenz. Den einstündigen Weg dorthin legten sie immer zu Fuß zurück. Wenn Eis die Ach deckte, kürzten sie den Weg ab, und oft wateten sie durch den Fluss, um den Maut-Heller an der neuen Brücke zu sparen. Manchmal durften die jungen Studenten die fromme Nachbarin Düro Franzele besuchen, besser bekannt als erste Autofahrerin in Vorarlberg und selbstbewusste Weltreisende. Mit Vorliebe ließ sie die Buben in ihrer kostbar bebilderten Bibel blättern, weil sie dadurch auf ihren frommen Wegen gestärkt werden sollten. Schlussendlich ist aber dann nur Jakob Rist ein Geistlicher geworden. Der erste Weltkrieg brachte viel Kummer ins Dorf. 1916 starb die Mutter, erst 55 Jahre alt. Die alte Tante Karolina übersiedelte aus Hanso Hus in die Bütze und versorgte so nebenbei den Haushalt. Bis zu ihrem 70. Lebensjahr ging sie täglich zur Arbeit in die Spinnerei Schindler in Kennelbach. 56 Jahre lang, anfangs täglich 12 oder 13 Stunden, ohne Urlaub oder freien Samstag, für kargen Lohn! Im Haus in der Bütze war die Not eingekehrt. Schon 1911 hatten die Geschwister Heim ein schönes Grundstück zum Bau des Vereinshauses im Strohdorf spottbillig an den Katholischen Arbeiterverein verkauft. Jetzt musste Tante Sefa als alleinstehende Witwe des Sattlers Müller ihr schönes Haus an der Kellhofstraße an den Konsumverein verkaufen. 20 000 Kronen löste sie 1919 dafür und legte das Geld für den einzigen Neffen Anton auf die Bank, als sie mit all ihren alten Möbeln und Sattlerwerkzeugen ebenfalls zu ihrem Bruder Josef in die Bütze übersiedelte. Anton machte 1921 am Gymnasium seine Matura und inskribierte nun an der Hochschule für Bodenkultur in Wien. Feldmesskunst (Geodäsie, Vermessungswesen) wollte er studieren. Inzwischen setzte die Inflation ein. Als ihn fror, konnte er für 8.000 Kronen aus Tante Sefas Sparbuch noch einen Mantel aus „Papierstoff“ kaufen. Für die restlichen 12 000 Kronen bekam er zwei Jahre später gerade noch 1,20 neue Schilling. Das reichte für drei Wecken Brot! Trotzdem genoss Anton das Studentenleben. Mit Frack und Zylinderhut besuchte er die Oper, lernte schöne Wienerinnen kennen und studierte sogar ein paar Monate lang in München. Umstürze erschütterten in der Nachkriegszeit das Land und ganz besonders die Universitäten, politische Wirren zwangen die Studenten zur Stellungnahme. Anton begeisterte sich für das Programm der „Großdeutschen“ und wurde davon für sein ganzes Leben geprägt. Im Jahre 1926 starb Tante Sefa. Vater Josef rief den Sohn heim an sein eigenes Krankenbett. Der Pfarrer empfahl Anton, in Doren eine Helferin zu suchen. Dort fand Vater auf einem Bauernhof am Hüttersberg unsere Mutter. Die 22jährige Frieda Troy pflegte seinen todkranken Vater in seinen letzten Wochen, räumte in dem verwahrlosten Haushalt auf und brachte auch die Landwirtschaft wieder in Schwung. Sie molk die Kühe, mauerte den zerfallenen Brennereiofen wieder auf und machte solchen Eindruck auf den „studierten“ Jungmann, dass dieser sie bat, als Frau für immer bei ihm zu bleiben. Er war ja vor der Entscheidung gestanden, die Landwirtschaft selbst zu übernehmen oder sich durch deren Verkauf einen Studienabschluss zu ermöglichen. Da entschied sich der 25jährige für die Heimat. Ganz wesentlich hat zu diesem Entschluss ganz sicher beigetragen, dass Frieda im Sommer 1927 von ihm ein Kind erwartete. Im April 1927 wurde im Gallusstift Hochzeit gefeiert. Ein letztes Mal fanden sich dazu noch Antons Wiener Freunde ein. Dann nahmen ihn die Sorgen für die rasch wachsende Familie voll in Anspruch. Elsa wurde 1927 geboren, Friedrich 1928, Erich 1930, Siegfried nach Mamas schwerer Erkrankung 1931 und Helmut 1932. Nach einem Abstand folgten noch Adolf 1938, Hilde 1940, Gertrud 1942 und Ernst 1944. Mit zuerst fünf Kindern mussten sich unsere Eltern durch die Not in der Wirtschaftskrise der 30er-Jahre schlagen und dann mit neun Kindern durch die Zeit des Zweiten Weltkrieges! Immer interessierte sich unser Vater für das Weltgeschehen. Als die RAVAG 1934 ihren Radiosender im Ried aufstellte, war er einer der allerersten, der sich einen Empfänger leistete. Viele Stunden saß er nun, manchmal zusammen mit einem Nachbarn, davor und hörte Nachrichten aus aller Welt, vor allem aber Musik, seine geliebte klassische Musik. Schon im Jahre 1929 war er zum Gemeinderat der „Großdeutschen“ gewählt worden und nun für die Schule und Kultur im Dorf verantwortlich. Nach dem großen Krach von 1934, den Kämpfen in Wien und den Auseinandersetzungen mit den „Heimwehrlern“ im Dorf fand sich für ihn aber kein Platz mehr in der Gemeindestube. 1933 bis 1943 war er Konsum-Obmann und leitete den Bau des schönen Konsumgebäudes im Kirchdorf, das damals unter Führung seines alten Freundes Johann Zwickle das größte und modernste Geschäft im weiten Umkreis war. Dazu war er Schriftführer in der Sennerei-Genossenschaft und arbeitete im Aufsichtsrat der Raiffeisenkassa mit. Meist aber plagten ihn die Schulden. Zwar hatte er, zusammen mit Tante Karolina, 1928 Hanso Hus am Kirchplatz für 11.000 S zum Abbruch und zum Bau eines Kriegerdenkmals an die Gemeinde verkauft. Den Erlös investierte er zum Umbau des baufälligen Stadels und zur Errichtung eines teuren, modernen Grünfuttersilos. Um im Konsum die Lebensmittel für die fünf hungrigen Kinder bezahlen zu können, musste er aber schon 1932 seine schönste Wiese an der Wälderstraße fast umsonst verkaufen. Dieser Verlust hat ihm sein ganzes Leben lang wehgetan. Auch sonst traf die kleine Landwirtschaft manch bitterer Rückschlag. Wegen der Seuche „Bang“ musste er den gesamten Viehstand schlachten lassen und die Versuche mit Weizenanbau im Ried waren absolut erfolglos. Die Nachbarn lachten, als zu allem Überfluss auch noch der schwere Dresch-Dampftraktor der Bauernkammer im morschen Jauchekasten einbrach. Geld hatte unser Vater damals nur, wenn er im Herbst die große Obsternte verkaufen konnte oder wenn ein paar Liter Schnaps einigen Erlös eintrugen. Die Brennerei betrieb er mit größter Sorgfalt selbst. Mit dem Anbau von Kartoffeln und Mais wurde die Familie aber wenigstens satt, zum Unterschied von den vielen Arbeitslosen jener Jahre. Von denen manche gerne für eine Jause eine Weile beim Heuen oder beim Fällen der großen Eiche im Ried die Hand anlegten. 1938 kam dann „der Umbruch“, Hitler marschierte in Österreich ein. Für unseren Vater erschien das als Erfüllung seines langjährigen „großdeutschen“ Traumes. Alles sollte jetzt besser werden. Er fand Arbeit beim Finanzamt Bregenz. Die große Familie lebte weiterhin sparsam von der Landwirtschaft und der neu eingeführten Kinderbeihilfe. Jede Reichsmark Lohn sparte er auf dem Bankkonto, auf dem schon Friedas kleines Erbe lag, ganze 1.900 S hatte sie als Erbteil von ihrer verstorbenen Mutter erhalten, als ihr Vater Kaspar in der schlimmsten Notzeit 1937 sein Anwesen auf dem Hüttersberg verkaufen musste. Der Vater ging „zur Partei“. Weil er Erfahrung in Gemeindeangelegenheiten hatte, holte ihn der neue Bürgermeister Rohner als Berater und als Stellvertreter an seine Seite. Auch das Amt eines Ortsbauernführers wurde ihm übertragen. 1939 begann der Krieg. Die Begeisterung über die Siege war groß, dann folgten aber ernüchternde Niederlagen. Im Finanzamt wurde er als Betriebsprüfer für den ganzen Bregenzerwald von Firmen und Mitarbeitern sehr geschätzt und als „u.k.“ (unabkömmlich zum Wehrdienst) eingestuft. Jetzt konnte er das in der Kriegsnot sehr belastende Amt des Bauernführers zurücklegen. Es folgten der Einbruch der deutschen Kriegsfronten und damit verbunden der Zusammenbruch eines Weltbildes, das er lange Zeit für das richtige gehalten hatte. 1944 und 1945 musste er noch von den neun Kindern weg zum Volkssturm einrücken, jeweils für einen Monat nach Meran, nach Schlanders und nach Gossensaß. Dazwischen vertrat er einen Monat lang den Bürgermeister. Das war im Spätwinter des letzten Kriegsjahres, als mit 1.000 Kriegsflüchtlingen schon der Hunger ins Dorf eingezogen war und fast täglich Todesmeldungen von allen Fronten an bangende Mütter zu überbringen waren. Der letzte Kriegseinsatz des Volkssturms am Seeufer in Hard endete mit der Auflösung der Gruppe. Als Bombenangriffe und Granateneinschläge Panik auslösten, verbrachten unsere Eltern mit den kleineren Kindern und einigen ihnen anvertrauten Nachbarskindern die letzten zwei Kriegsnächte bei Bekannten in Buch. Schwierige Nachkriegsmonate folgten. Zwar blieb die Familie weiterhin vom Hunger verschont. Die Kühe gaben Milch, im Keller lagerten Kartoffeln und auf dem Dachboden Türkenkolben. Hin und wieder konnte man sogar ein Schwein oder ein Schaf schlachten. Für die Wolle der Schafe hatte sich die Mutter wieder ein Spinnrad besorgt und die tüchtige Elsa strickte unermüdlich Schwetter (Pullover) und Socken. Aber der Vater verlor 1946 wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft seinen Arbeitsplatz beim Finanzamt und durch die Reichsmarkentwertung gleichzeitig auch alle seine Ersparnisse auf der Bank. Es war ein großes Glück, dass er bald bei Georg Mutter in Dornbirn eine Anstellung als Steuerberater fand. Jeden Tag, bei Regen, Schnee oder Hitze fuhr er nun mit dem Fahrrad nach Dornbirn. Mit unendlichem Fleiß erwarb er sich einen Ruf als ausgezeichneter Wirtschaftsfachmann und wurde der erste Berater des Chefs, später auch von dessen beiden Nachfolgern Dr. Böhler und Dr. Rümmele. Mit vielen seiner Klienten pflegte er auch persönliche Kontakte, besonders als die Firma ihm sein Büro in der eigenen Wohnstube in der Bütze eingerichtet hatte. Unermüdlich hielt er an der Arbeit fest, bis dem 74jährigen am 19. September 1975 ein Schlaganfall die Hand lähmte. Es brach ihm fast das Herz, als in den folgenden Wochen „seine“ Akten in das Büro nach Dornbirn transportiert wurden. Aus der Dorfgemeinschaft hatte sich unser Vater nach 1945 völlig zurückgezogen. In seiner Freizeit hörte er klassische Musik — Mozart, Haydn, Bach und am allerliebsten Wagner. Dagegen war ihm Jazz ein Gräuel. Er las manch schönes Buch und blätterte in vielerlei Zeitungen und Zeitschriften. Als begabter Mathematiker löste er gerne kniffelige Rechenprobleme, darunter jedes Jahr mit besonderer Freude und ohne Formelbuch die neuen Matura-Aufgaben aus der Jahresschrift seines Bregenzer Gymnasiums. Dazwischen machte er, seit ihm die früher so geliebten Bergtouren verwehrt waren, große Fußmärsche im Rheintal und durch den Vorderwald. Nur ganz selten leistete er sich gemeinsam mit der Mutter eine Autobusreise, am liebsten nach Italien. Italienisch und Latein hatte er am Gymnasium schätzen gelernt, Englisch verabscheute er. Als die groß gewordenen Kinder der Reihe nach das Haus verließen, wollte er noch lange Zeit die Landwirtschaft erhalten. Er hatte sie schon 1938 ganz unserer Mutter und den heranwachsenden Kindern überlassen. Immer war sie die Existenzgrundlage der Familie gewesen. Noch oft holte er seine „Buben“ ins Feld zum Mähen und Heuen, aber im Jahre 1962 verkaufte er dann doch schweren Herzens die letzten Kühe und verpachtete die Wiesen. Vaters ganzer Stolz war seine große Familie. Ihr widmete er all seine Arbeitskraft, ihr zuliebe verzichtete er oft auf persönliche Wünsche. Alle neun Kinder waren gesund. Elsa, die Älteste, musste den Haushalt übernehmen. Die anderen durften Berufe erlernen, fanden Verdienst und, wie Elsa als erste auch, einen Ehepartner. Seit 1951 konnte Vater wieder Ersparnisse machen, die er den Kindern zum Bau von Einfamilienhäusern zur Verfügung stellte. Er sagte später oft, es sei die schönste Zeit seines Lebens gewesen, als er beim Ziegelabladen, Eisenbiegen, Mörtelmischen und beim Betonieren helfen musste und täglich die Baustellen inspizierte, wo sein Geld vermauert wurde. So kamen schließlich alle neun Kinder zu eigenen Häusern:

Elsa 1953 in Lochau,
Friedrich und Helmut 1956 im Oberfeld,
Siegfried und Hilde 1959 im Oberfeld,
Adolf 1962 im Oberfeld als fünftes Haus der „Heim-Siedlung“,
Gertrud 1965 in Hörbranz,
Ernst 1968 im Unterfeld

und schließlich noch Erich 1971 in Dornbirn. Wahrlich eine bemerkenswerte Familienleistung! 33 Enkel wuchsen in den jungen Familien heran, die der Großvater gerne bei Festen um sich scharte. Erst 1975 ging er in Pension. Am 1. Jänner 1976 verschenkten die Eltern allen Grundbesitz an die neun Kinder. Am 26. April 1977 konnten sie Goldene Hochzeit feiern. Strahlend und zu tiefst gerührt nahmen sie die Glückwünsche von Kindern und Enkeln, von Bürgermeister und Bürgermusik, von Geschäftsfreunden und Nachbarn entgegen. Stolz trug der Vater von jetzt an die goldene Uhr, genau wie die Mutter ihre Perlenkette, beides Erinnerungsgeschenke der Kinder. Dann aber wollte der Vater sterben. Die Tage ohne Arbeit waren ihm zu lange. Den Großen Brockhaus, den er sich noch geleistet hatte, vermochte er nicht mehr zu lesen. Nur mit Mühe schleppte er sich jeden Sonntag zur Kirche und zur Kommunion. Viele Stunden bewegte er sich noch auf dem Hometrainer, dem Fahrrad in der Stube. Er hörte noch regelmäßig Schallplatten und durchstöberte das Fernsehprogramm nach Konzertmusik. Wohl war er schweigsam geworden, aber geistig blieb er sehr rege. Ein gnädiger Gott holte ihn ganz plötzlich durch einen Schlaganfall am 21. März 1979 vom Stubenfenster weg zu sich. Zwei Tage später geleitete ihn eine ganz große Trauergemeinde zum Familiengrab auf dem alten Friedhof in Wolfurt.

Frieda Heim, geb Troy

10. Jänner 1904 - 5. Februar 1990

Unsere Mama kam 1904 in Doren-Huban zur Welt. Sie war das zweite von sieben Kindern. Ihr Vater Kaspar Troy stammte aus Egg und bildete als Obersenn in der Käsereischule Huban die Jungsennen bei der Emmentaler- Erzeugung aus. Die Mutter Anna Maria Geiger stammte ebenfalls aus Egg. Bald erwarben die beiden einen kleinen Bauernhof auf dem Hüttersberg und übersiedelten mit der wachsenden Familie dorthin. Nur kurze Zeit erbrachte die Maschinenstickerei Verdienst, dann mußte das Sticklokal bereits wieder abgebrochen werden. Ihr Leben lang versuchte Mutter Anna Maria aber, mit der im Bregenzerwald damals weit verbreiteten „Pariser“- Stickerei zum Familien-Einkommen beizutragen. Der Ertrag der Landwirtschaft genügte nicht, wenn Vater Kaspar nicht als AlpSenn oder durch Gelegenheitsarbeiten dazu verdiente.

Besonders schlimm wurde das, als er 1914 in den Krieg einrücken mußte und die Mutter vier Jahre lang die Alleinverantwortung für die sieben Kinder hatte. Als 10jähriges Mädchen mußte Frieda nun melken und mähen und mit ihren Brüdern alle Arbeiten in Haushalt und Stall verrichten helfen. Nach ihrer Schulzeit lernte sie bald fremdes Brot essen. Sie half an verschiedenen Orten im Haushalt oder arbeitete in Gasthäusern auf dem Dorf und in der Stadt Bregenz in der Küche und als Bedienerin. Dazwischen besuchte sie die Haushaltungsschule in Dornbirn und erwarb sich ausgezeichnete Kenntnisse als Köchin, Serviererin und Schneiderin.

Im Oktober 1926 holte unser Vater die 22jährige Frieda zur Pflege des todkranken Großvaters nach Wolfurt. Auch nach dessen Tod blieb sie da und übers Jahr wurde sie Anton Heims Frau. Die Ehe war mit neun Kindern gesegnet und damit auch mit vielen Sorgen, Mühen, aber auch Freuden erfüllt... Als unser Vater einen Arbeitsplatz im Finanzamt und später als Steuerberater fand, überließ er die Verantwortung für die Landwirtschaft ganz der Mutter. Bei der Erziehung der Kinder war wohl die Arbeit in Stall, Acker, Wald, Feld und Obstgarten ihre beste Hilfe.

Später half sie den erwachsenen Kindern mit ihren geschickten Händen beim Bau von eigenen Häusern und freute sich, als sich in den neun Familien 37 Enkel und zahlreiche Urenkel einstellten. Im Jahre 1977 feierten unsere Eltern Goldene Hochzeit.

Zwei Jahre später starb der Vater. Die Mutter blieb ganz allein in dem alten Bauernhaus in der Bütze zurück und besorgte weiter die Arbeit in ihrem Obst- und Gemüsegarten. Alle Jahre versammelte sie ihre nur mehr schwer überschaubar gewordene Familie zu einem großen Wiesenfest hinter dem Haus. Sie pflegte Kontakte zu den Nachbarn und zu ihren Troy-Verwandten im Bregenzerwald und freute sich über jeden Besuch, besonders als in. den letzten Lebensjahren ihr Augenlicht langsam erlosch. Nach kurzer Krankheit starb sie mit 86 Jahren am 5. Februar 1990 im Spital in Bregenz. An der Seite unseres Vaters wurde sie in Wolfurt begraben.

Flucht & Heimkehr

Am Montag, 30. April, marschierten die Franzosen im Leiblachtal ein. Granateinschläge dröhnten, die Bordkanonen der Tiefflieger rasselten. Unsere Nachbarn beluden ein Pferdefuhrwerk mit Habseligkeiten und flohen nach Bildstein. Auf der Unterlindenstraße ging eine große Flak in Stellung. Voll Angst packten wir schnell zwei Koffer und unsere vier kleinsten Geschwister auf einen Handwagen. Auch eine Nachbarin vertraute uns ihre zwei Jüngsten an. Sie selbst wollte beim Haus bleiben. Mein 15-jähriger Bruder und Michel, der alte Knecht, wollten ebenfalls daheim zu Haus und Vieh schauen.

Wir anderen flohen durch den Ippachwald nach Buch. Mit zwei weiteren Familien fanden wir dort freundliche Aufnahme bei Bekannten. Mich schickte man mit dem Fahrrad wieder heim. Am anderen Morgen begann der Angriff auf Bregenz. Riesige Rauchsäulen quollen aus der brennenden Stadt, eine besonders schwarze stieg aus den Lagern der Autowerkstätte Anwander auf. Gefährliche Jagdbomber hämmerten immer wieder auf die Flüchtlinge herab, die gruppenweise über die Achbrücken hasteten. Ich fuhr wieder als Kurier nach Buch und hörte noch, wie am späten Vormittag die Achbrücken und die Kennelbacher Kanalbrücke gesprengt wurden. Mittags wurde Bregenz besetzt, gegen Abend erschienen die Franzosen in Kennelbach. Am 2. Mai schneite es in Buch. Ein Bote berichtete mittags, jetzt sei auch Wolfurt besetzt. Schnell hoben wir wieder Koffer und Kinder auf den Wagen und verabschiedeten uns von den herzensguten Gastgebern.

Eine weiße Windel sollte als Fahne unser Gefährt schützen. Im Ippachwald standen schwer bewaffnete deutsche Soldaten. Scheu und grußlos eilten wir vorbei. Menschenleer das Oberfeld! Aber auf dem Kirchplatz war Betrieb. Französische Soldaten hatten ein deutsches Kettenkrad erbeutet und jagten darauf lauthals jubelnd wie Buben in waghalsigen Kurven umher. Von uns nahm niemand Notiz. Daheim war alles in Ordnung. Weinend vor Freude schloß unsere Nachbarin ihre Kinder in die Arme.