Martinigans

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Martinsgans mit Rotkraut und Erdäpfelknödel

Die Martinigans (auch das Martinigansl) ist ein traditionelles Festtagsessen, das heutzutage nicht nur am Martinstag, dem 11. November, selbst, sondern auch an den Tagen davor oder danach genossen wird. Sowohl in Österreich, als auch in Bayern wird dieser Tag verkürzt als Martini, von lateinisch Festum Sancti Martini, „Fest des heiligen Martin“, bezeichnet.

Beilagen

Das Martinigansl wird üblicherweise mit Rotkraut und Erdäpfelknödel serviert.[1]

Verbreitung

Das Gans(l)essen ist besonders im Osten Österreichs und den benachbarten Teilen Ungarns sowie in der Slowakei, wo der heilige Martin Schutzpatron des ganzen Landes ist, verbreitet. Die besondere Verehrung des Heiligen in dieser Gegend geht wohl darauf zurück, dass Martin um 316 n. Chr. in der damals römischen Stadt Savaria, heute Szombately (Steinamanger), nahe der burgenländischen Grenze in Ungarn, geboren wurde. Daraus ergibt sich eine besondere Tradition des Brauchtums rund um St. Martin im Burgenland, wo der Heilige als Landespatron geehrt wird und der Martinstag als landesspezifischer und schulfreier Feiertag gilt. Aber auch in den anderen Bundesländern ist es heute wieder sowohl im privaten Bereich als auch in Gasthäusern, Restaurants oder Heurigen üblich, sich zum Ganslessen zu treffen.

Geschichte

Die Martinigans wird hier in Schwaben gerupft, beschrieben in der Gartenlaube (1868)

Ein historischer Erklärungsversuch für dieses Brauchtum geht davon aus, dass in Zeiten des Lehnswesens eine am Martinstag fällige Lehnspflicht, eine Abgabe namens Martinsschoß, der Ursprung war.[2] Da diese häufig aus einer Gans bestand, bildete sich die Bezeichnung Martinsgans heraus, und weil der Martinstag traditionell mit einer Kirmes oder einem Tanzmusikabend gefeiert wurde, bot es sich an, die Gans zum Festessen zu machen und an diesem Abend festlich zu verspeisen.[3]

Unabhängig von den Legenden hat der Brauch in der wirtschaftlichen Situation der Bauern und religiösen Gegebenheiten ihre Wurzeln. Die Gans war bei den Bauern ein reines Weidetier. Die wirtschaftliche Bedeutung lag bei der Gans hauptsächlich bei den Federn, wogegen das Fleisch weniger im Vordergrund stand. Im Herbst müssen die Tiere geschlachtet werden, da keine keine Stallungen für den Winter vorhanden waren. Davor wurden sie noch gestopft, was heute in Österreich wegen Tierquälerei verboten ist.

Der Martinstag am Ende des bäuerlichen Wirtschaftsjahres, bot mit einer gebratenen Gans auch noch einmal Gelegenheit für ein Festessen, dass noch vor Beginn der Adventszeit, die als Fastenzeit galt, serviert wurde.

Aus der Geschichte ist auch bekannt, dass es nicht nur ein bäuerlicher oder bürgerlicher Brauch war, sondern auch am Kaiserhof die Gans gerne zu diesem Anlass gegessen wurde. So wird über Maria Theresia berichtet, dass sie gerne die Gans genoss.[4]

Neben dem Festessen der Gäste beobachtete abergläubische Bäuerinnen die Martinigans als eine Art Orakel, das ihr die Frage, wie der kommende Winter werden wird, beantwortet. So bedeutete im Aberglauben ein braunes Brustbein einen strengen Winter, während ein weißes viel Schnee ankündigte.[4]

Wirtschaftsfaktor

Das Ganslessen stellt wirtschaftlich in Österreich einen Konkurrenzkampf zwischen heimischen Gänsen und Importware dar. Aktuell fallen dabei ca. 15 bis 25 Prozent auf heimische Zuchtgänse, wobei zu bedenken ist, dass für heimischen Zuchtbetriebe das Stopfen nicht erlaubt ist, während für importierte Gänse diese Einschränkung nicht besteht. Dabei wird von zahlreiche Organisationen seit Jahren das Martinigansl als Anlass genommen, eine zwingende Herkunftskennzeichnung in der Gastronomie und Handel vorzuschreiben.[5]

Um die Qualitätsunterschiede zu verstärken, setzen österreichweit Betriebe auf Bio-Weidegänse, deren Aufzucht langsamer und nur auf Grünlandwiesen erfolgt.[6]

Legenden

Als Erklärung werden aber auch zahlreiche Legenden bemüht. Gern wird in Legenden erzählt, dass die Martinsgans ihren Ursprung in Martins Leben habe: Entgegen seinem eigenen Willen und trotz Vorbehalts des Klerus drängte das Volk von Tours darauf, Martin zum Bischof zu weihen. Asketisch und bescheiden, wie er sein Leben führte, hielt er sich für unwürdig, das Bischofsamt zu bekleiden. Er soll sich deshalb in einem Gänsestall versteckt haben. Die Gänse jedoch sollen so aufgeregt geschnattert haben, dass Martin gefunden wurde und zum Bischof geweiht werden konnte. Nach einer anderen Erzählung griffen die Bürger von Tours zu einer List: Ein Bauer sei zu Martins Versteck gegangen und habe diesen gebeten, seine kranke Frau zu besuchen. Hilfsbereit, wie Martin nun einmal war, habe er seine Sachen genommen und den Bauern nach Hause begleitet. Wahrscheinlich sah er ziemlich schmutzig aus – als habe er eine Zeit lang in einem Gänsestall gelebt. Eine weitere Geschichte besagt, dass eine schnatternde Gänseschar in den Kirchraum gewatschelt sei und dabei Bischof Martin bei seiner Predigt unterbrochen habe. Daraufhin seien die Gänse gefangen und verzehrt worden.

Einer tschechischen Legende nach, sollte Martin durch das Schnattern der Gänse am Predigen gehindert werden. Als Strafe landeten diese dann auf dem Teller. Dem Volksglauben dort, soll jemand das ganze Jahr lang hungern, wenn er am Martinstag keine Gans isst.[7]

Solche Legenden sind allerdings erst seit dem 16. Jahrhundert bekannt. Sie gelten als „Sekundärlegenden“ (Ätiologien), die ein Brauchtum im Nachhinein zu erklären versuchen. Die Verbindung der Gänse mit dem Pachttermin des Martinstages wird in der Forschung nämlich als älter angesehen als die Legenden.[8]

Sonstiges

Der Schriftsteller Volker Raus verwendet den Begriff der Martinigans für seinen Österreich-Krimi. (ISBN 9783990740248)

Weblinks

 Martinigans – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien auf Wikimedia Commons

Wikisource: Die Martinsgans – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Martinigans: Eine schöne Tradition auf nahgenuss-Blog abgerufen vom 19. September 2019 am 6. November 2020
  2. Wigand’s Conversations-Lexikon für alle Stände. Otto Wigand, Leipzig 1849, OCLC 299984559, S. 582.
  3. Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde: Die aus der Sagenzeit der Deutschen stammenden Gebräuche, namentlich der Hessen. 1. Band. Kassel 1867, S. 318.
  4. 4,0 4,1 Martini. In: Neuigkeits-Welt-Blatt, 9. November 1912, S. 9 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/nwb
  5. Kennzeichnungspflicht für Martinigansl gefordert auf APA-OTS vom 4. November 2014 abgerufen am 7. November 2020
  6. Ganslessen zu Martini: Weidegans und Billigimport inden Salzburger Nachrichten vom 25. Oktober 2016 abgerufen am 7. November 2020
  7. Tradiční svatomartinská husa se nadívá jablky a hruškami abgerufen am 16. Oktober 2021 (tschechisch)
  8. Manfred Becker-Huberti: Feiern – Feste – Jahreszeiten. Lebendige Bräuche im ganzen Jahr. Sonderausgabe, Herder Verlag, Freiburg (Breisgau) 2001, ISBN 3-451-27702-6, S. 36.
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