Jüdische Gemeinde Kittsee

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Die Jüdische Gemeinde Kittsee gehörte ab 1716 zu den Fürstlich Esterházyschen Gemeinden, die als Siebengemeinden (Scheva Kehillot) bezeichnet wurden, auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes. 1885 wurde ihr noch zusätzlich die jüdische Gemeinde Gattendorf angegliedert.[1]

Geschichte der jüdischen Gemeinde

Von der Entstehung der Gemeinde bis zur Gründung des Burgenlandes 1921

Informationen über jüdische Bewohner in Kittsee reichen bis in das Jahr 1648 zurück, als sich Angehörige der Ledererzunft der Stadt Preßburg über drei jüdische Lederer beschwerten, die im Lisztyschen Edelhof in Kittsee arbeiteten und den Preßburgern Konkurrenz machten. Nachdem den drei jüdischen Lederer eine Steuertaxe von 10 Gulden vorgeschrieben wurde, verließen sie noch vor Jahresende Kittsee in Richtung Mähren, ohne die Steuer beglichen zu haben.[2]

Nach der Vertreibung der Juden aus Österreich entstand ab 1670 eine jüdische Gemeinde in Kittsee, die zunächst unter dem Schutz der Familie Liszty stand, welche erbliche Inhaber der Herrschaft Kittsee waren.[3] 1676 übernahm Paul Esterházy vom bisherigen Grundherrn Johann Liszty dessen Ländereien. 1690 erließ Paul Esterházy in Eisenstadt ein Privilegium, das sich auf all seine Besitzungen und somit auch auf Kittsee bezog. Mit diesem Erlass räumte der Fürst den in seinem Herrschaftsbereich lebenden Juden weitreichende Rechte ein. So durften fortan Handel betreiben, verschiedene Gewerbe ausüben und ihre Angelegenheiten durch eine eigene Gemeindeverwaltung regeln. Im Gegenzug mussten die "Schutzjuden" Gebühren an Esterházy bezahlen.

1712 notierte ein schlesischer Handwerker, der sich auf der Durchreise befand, dass sich Juden aus Pressburg in Kittsee angesiedelt hatten.[4] Ab 1716 war die jüdische Kittseer Gemeinde Teil der Fürstlich Esterházyschen Sieben-Gemeinden (Scheva Kehillot). Im Jahr 1735 zählte sie bereits 266 Einwohner (155 Erwachsene und 111 Kinder).[5]

Bevölkerungsentwicklung der jüdischen Gemeinde

Die folgende Tabelle zeigt wie viele jüdische Bewohner im jeweiligen Jahr in Kittsee lebten.[5] Der Höchststand wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erreicht, während es in den 1930er-Jahren noch knapp 60 Juden in Kittsee gab.

Der Grund für den Rückgang der Bevölkerungszahl war das Fortschreiten der jüdischen Emanzipation, die dazu führte, dass diskriminierende Beschränkungen wegfielen und sich viele Juden in den großen wirtschaftlichen Zentren wie Preßburg oder Wien niederlassen konnten, wo sie bessere ökonomische Lebensbedingungen vorfanden.

Jahr Bewohner
1648
mind. 3 Familien
1735
266
1780
363
1821
789
1880
111
1934
62

1885 kam es zur organisatorischen Angliederung der jüdischen Gemeinde Gattendorf an das größere Kittsee. Die Zahl der Gemeindemitglieder stieg damit um ca. 60 Personen.

Jüdisches Gemeindeleben um 1927

Im Jahr 1927 besuchte der Journalist Otto Abeles die Siebengemeinden und veröffentlichte seine Reiseberichte in Form der Artikelserie Altes und neues Judentum im Burgenland in der Wiener Morgenzeitung.[6] In Heft 2867 vom 20. Februar 1927[7] erschien der Bericht von seinem Besuch in Kittsee. Dieser Artikel wirkt aus heutiger Sicht wie eine Zeitkapsel, in der eine Welt beschrieben wird, die längst versunken ist. Zwischen den Zeilen ist aber bereits das drohende Unheil, dass einige Jahre später über die Juden Europas hereinbrechen sollte, herauszulesen:

„"Die Judenleich kimmt!!" Ein Schwarm von Juden trägt diesen Ruf über die Dorfstraße und rennt zum Hauptplatz, der willkommenen Abwechslung froh. Die Bauern treten vor das Wirtshaus - es ist Sonntag - drinnen im Schanklokal setzt die Zigeunermusik aus, immer zahlreicher versammeln sich die Bäuerinnen des Ortes. Kittsee ist ein ungewöhnlich großes, gut gehaltenes Dorf. Die Hauptstraße ist breit wie der Opernring und von nicht zu überblickender Ausdehnung. Das herrliche Schloss des Grafen Batthyány mit dem wunderschönen schmiedeeisernen Tor, ein rühmliches Spital, in das man Operationsbedürftigte bis aus Hainburg bringt, Ortskirche mit Kriegerdenkmal. Als ich mit der Wien - Pressburger elektrischen Straßenbahn kommend, vom Grenzörtchen Berg den Omnibus benützte und beim Bürgermeisteramt abgesetzt wurde, wollte ich ohne Führer die Judengemeinde suchen. Nun erübrigt der traurige Zufall, dass ich mich auf den Weg mache. Von dort kommen mir die Juden von Kittsee entgegen, die gesamte Kehilla, vermehrt durch die Wiener und Pressburger Angehörigen des Greises, den man unter dem schwarzen Tuch zur Bestattung trägt. Höchst bemerkenswert, dieser jüdische Leichenzug.“

„Keine "Pompfuneberer"[8], keine Priesterornate, kein Leichenwagen mit schwarzen Pferden, keine Blumen, keine Kantoren, keine Musik. Und schon gar nicht der gemessen-feierliche Gleichschritt, die disziplinierte, organisierte Trauerkundgebung der Beine. Nicht einmal der Rabbiner geht gesondert an bevorzugter Stelle, sondern mitten drin im Knäuel seiner Gemeinde. Dieser dicht gescharrte, ungeregelte Haufen, von nichts überragt, als von der ungehobelten, schwarz gedeckten Kiste, wirkt bezwingend in seiner stummen Einfachheit. Sinnbild der Richtigkeit alles Irdischen. Was Staub war, wird zum Staube. Die Brüder der Chewra Kadischa tragen abwechselnd die Truhe auf den Schultern, die jungen Leute der Kehilla, die "Melatsches" (die noch unverheirateten Chewramitglieder) lösen sie später ab. Zwei Balbattim halten altsilberne Gefäße in Händen, von ungewohnter Form und seltener Art. Sie nahmen diese Kleinodien nicht auf den Friedhof mit, um den nackten, ernsten Leichenzug mit Schmuckstücken zu zieren: Es sind die alten Zdoke(Anmerkung: Almosen)-Büchsen von Kittsee. Die eine langgestreckt, im gotischen Stil gehalten - Nachbildung eines "Rabbonim-Häuschens", wie es über den Gräbern der frömmsten, verehrtesten Männern errichtet wurde - geht schon länger als vierhundert Jahre mit auf den Guten Ort. Die andere ein Barockstück, ist erst zwei Jahrhunderte im Besitz der Gemeinde.“

„Jetzt biegen sie von der Hauptstraße ab, um den Toten an der Synagoge vorbeizutragen. Unter allen Judensiedlungen des Burgenlandes hat Kittsee die eigenartigste und merkwürdigste Synagoge. Es ist nämlich - bestimmt kein häufiger Fall - in einem ehemaligen Nonnenkloster untergebracht. Der Schutzherr der Kittseer hat ihnen vor 420 Jahren das schon damals betagte Gebäude überlassen. Es ist gut erhalten, mit Verständnis renoviert, sieht mit dem bizarren Erker und dem uralten Ziehbrunnen unter den Bauernhäusern wie ein romantisches Stück Mittelalter, das man abzuräumen vergessen hat und beherbergt nebst der kleinen Schul', in die man durch eine Seitentür gelangt, eine Anzahl von Judenwohnungen. Schon dieses Haus der Judengemeinde von Kittsee kennenzulernen lohnt die kurze angenehme Fahrt mit der elektrischen Bahn vom Wiener Hauptzollamt zur Landesgrenze, an dem berühmten "Heidentor" vorüber und an den schönen Donauorten Petronell, Deutsch-Altenburg und Hainburg. Und überraschend wie dieser Judentempel im Nonnenkloster, wirkt dieser Judenfriedhof, umschlossen von den riesigen Mauern einer Ritterburg. Die Burg Kittsee, welche den Gottesacker der Juden in sich aufnahm, ist zu einem Teil von ihrem kunstverständigem Bewohner, einem Arzt, in alter Vornehmheit erhalten, zum anderen in einen riesigen Getreideschüttkasten umgewandelt. Hügelan, längs dem verwitterten Burggemäuer bewegt sich der jüdische Leichenzug und es gehört nicht viel Phantasie dazu, den Judenhaufen so zu sehen, wie er einst hinter der Truhe hier hinaufkam: in Schnallenschuhen, Pumphosen, die dunkelgrüne Mantille umgeschlagen, am Kopf den Schiffhut. Jetzt freilich tragen die Juden Bauernstiefel und Wirtschaftspelz oder sie sind gar nach der vorvorletzten Stadtmode gekleidet. Das kleine Tor lässt die Sargträger und allmählich den stark angeschwollenen Leichenzug passieren, dem sich sehr zahlreiche christliche Ortsbewohner angeschlossen haben. Sie hören alle zu, wie der Rabbi zu seiner Gemeinde spricht, von dem Verblichenen und von seiner Sorge um den Fortbestand der alten Treue und Frommheit - ganz freimütig und ganz intim, denn vollzählig umsteht die Kehilla das offene Grab und man hat es hier noch nicht erlernt, geheim zu tun vor den anderen - sie hören, wie einer den Toten um Verzeihung bittet und wie der kleine, verwachsene Mann mit der Schirmmütze, der Ärmsten einer und doch hochgeachtet ob seiner Kenntnisse und geistigen Fähigkeiten, kein "Oischer" und doch Sprecher der Chewa Kadischa, in bewegter Rede Abschied für alle nimmt. Dann klappern die Zdoke-Büchsen“

„Der Zufall ließ mich Zeuge einer Bestattung sein und zeigte mir, kurz nach der Ankunft, das Antlitz der Judengemeinde von Kittsee. Sie ist klein geworden, zählt kaum 100 Seelen, lebt mit der Bauernschaft in gutem Einvernehmen - das Leichenbegräbnis erwies durch die große Teilnahme von Nichtjuden, dass man hier über "gutes Einvernehmen" hinaus sogar befreundet ist, Tempel und Gemeindefunktionäre sind in einem hochinteressanten Gebäude untergebracht, der Friedhof ist von einer Rittersburg behütet. Da ich dann mit einigen Juden von Kittsee Fühlung nahm, weiß ich jetzt auch, dass die Kehilla aus erwerbsfleißigen Leuten besteht, ihre Traditionen wahrt, von schweren Schicksalsschlägen verschont blieb, aber natürlich durch Abwanderung schon recht sehr ausgeblutet ist. Draußen sind viele Söhne der Gemeinde zu Reichtum und Ruhm gelangt und - abgefallen. Der größte Sprössling der Kehilla Kittsee war der Geiger Joachim, an dessen Geburtshaus eine künstlerisch ausgeführte ungarische Gedenktafel - angebracht wurde. Die Familien Mautner, Figdor, Singer kommen von hier. Bekanntlich hat auch Frau Bundespräsident Hainisch (Anmerkung: Emilie Auguste Figdor[9]) ihr Stammhaus in der Kittseer Judengemeinde.“

„"Es hat mir weh getan", sagte mir Herr Rabbiner Perls, "als mich Joachim aus Berlin um Übersendung seines Geburtsscheines anging, denn ich wusste, dass er das Dokument benötigte, um den Austritt aus dem Judentum zu vollziehen." - Als ich mich vorstellte, meinte der starke greise Mann: "Auch mein Amtsvorgänger hieß Abeles, aber sein Sohn heißt schon Andor." - So erfährt man zwischen Tür und Angel die Geschichte der Entfremdung und des Verfalles. Es gibt in Kittsee keine Gaß mehr. Aber Herr Rabbiner Perls konnte mich immerhin dessen versichern, dass die Gemeinde in den 35 Jahren seiner Wirksamkeit nicht kleiner geworden, sondern sogar gewachsen sei, allerdings nur mehr 19 Steuerträger zähle, darunter solche, denen die Aufbringung über Erhaltungsbeiträge nicht gerade leicht wird.“

„Das soeben stattgefundene (?) Leichenbegräbnis brachte dem Rabbiner ein charakteristisches Dokument in Erinnerung, eine Zuschrift vom 9. Oktober 1832, ein Zirkular der Ofener Stadthalterei, in das er mir Einblick gibt. Es heißt dort: "Nachdem es hieher amtlich einberichtet worden ist, dass jener Missbrauch stattfindet, wonach die Verzeichnisbücher über Geborene, Vermählte, Gestorbene israelitischer Nation, wenn die führenden Rabbiner absterben, mit ihnen begraben werden..." - wird nachdrücklichst gefordert, dafür zu sorgen, dass dieser Missbrauch sich nie wieder ereignet. Das Schriftstück ist namens der königlich-ungarischen Statthalterei zu Ofen also unterfertigt: "Euer gewogener und dienstverpflichteter Stephan von Begh." Doppelt interessantes Dokument. Bezeichnend, dass damals noch der böswilligen Angabe Glauben geschenkt wurde, die Rabbinen nähmen die Matrikelbücher mit ins Grab. Bezeichnend aber auch die Liebenswürdigkeit, ja Herzlichkeit der Schlussklausel.“

„Die neuen österreichischen Behörden ziehen andere Seiten auf! Sie schicken Beamte ins Burgenland, die sich als kämpferische Rassenantisemiten der "israelitischen Nation" weder "dienstverpflichtet" fühlen, noch ihr gar "gewogen" sind. In Kittsee kam mit den österreichischen Verwaltungsorganen der wirtschaftliche Boykott an und unter Führung des Lehrers wird jetzt der Bauer dazu erzogen, beim Juden nicht einzukaufen.“

Zerstörung der Gemeinde 1938

Die jüdische Gemeinde Kittsee wurde in der Nacht vom 17. zum 18. April 1938 praktisch ausgelöscht. In dieser Nacht holte man die Juden von Kittsee und der Nachbargemeinde Pama aus ihren Betten und brachte sie an die Donau. In den nächsten Tagen wurden sie zwischen Deutschland, der Tschechoslowakei und Ungarn hin- und hergeschoben, ehe es Jüdischen Hilfsorganisationen in Pressburg gelang, die Entwurzelten auf einem französischen Schleppboot unterzubringen. Nach vier Monaten, in denen sie in den Donauauen ausharren mussten, bekamen sie eine Aufenthaltsbewilligung für die die Tschechoslowakei. Ihr Schicksal wurde vom jüdischen Arzt und Autor Friedrich Wolf im Drama Das Schiff auf der Donau thematisiert.[10]

Opferbilanz des Holocausts

Allgemeine Informationen

Deportation österreichischer Juden aus Wien.

Die Burgenländische Forschungsgesellschaft hat aus verschiedenen Quellen Daten über die burgenländischen Opfer des Holocausts ermittelt und mit diesen Informationen eine Datenbank erstellt. Dieser Datenbestand enthält 19 Einträge mit Bezug zu Kittsee (Stand Feber 2016)[11], mit 17 Namen etwas geringer fällt die Liste in der Opferdatenbank des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes aus.[12] Eine um Mehrfachnennungen bereinigte Aufstellung von Yad Vashem nennt 20 jüdische Holocaust-Opfer mit einem Bezug zu Kittsee. Während sich die Einträge in den österreichischen Beständen zumeist an erhalten gebliebenen Dokumenten der nationalsozialistischen Dienststellen orientieren, basieren viele der Einträge in der Datenbank von Yad Vashem auf Aussagen von überlebenden Familienangehörigen, die nach dem Krieg getätigt worden sind. Nur bei vier Personen (Josefine Deutsch, Paula Koch, Koloman Löwy und Josef Daniel Schnierer) gibt es zwischen allen drei Quellen eine Übereinstimmung. Die Daten der Burgenländischen Forschungsgesellschaft und dem Dokumentationsarchiv stimmen bei 14 Menschen überein.[13] Kombiniert man diese drei Datenbestände kommt man auf insgesamt 37 Namen von Personen, die entweder in Kittsee geboren wurden oder zumindest ansässig waren. In dieser kombinierten Liste sind auch Menschen enthalten, die in Kittsee auf die Welt kamen, die Stadt aber schon lange vor Beginn der Deportationen verlassen hatten.

Die auf den Datenbeständen der Burgenländischen Forschungsgesellschaft, des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes und von Yad Vashem basierende kombinierte Liste enthält folgende Informationen:

  • Die Datenbanken enthalten Informationen über 37 Personen, welche einen Bezug zu Kittsee haben. Dieser Bezug bestand entweder durch die Geburt in diesem Ort oder einen Zweitwohnsitz oder dem Besitz von Immobilien.
  • Mindestens 26 dieser Personen waren gebürtige Kittseer. Wie viele von ihnen 1938 direkt aus dem Ort vertrieben wurden, lässt sich nicht ermitteln.
  • Die Liste umfasst die Namen von 20 Männern und 17 Frauen.
  • Von 22 Personen ist das Geburtsjahr bekannt. Das jüngste Opfer (Thersia Etler, geboren 1915 und 1944 aus Ungarn deportiert) war 1938 23 Jahre alt, das älteste 85 (Karoline Singer, 1942 von Wien im Alter von fast 90 Jahren ins KZ Theresienstadt deportiert, wo sie wenig später verstarb). Im Gegensatz zu anderen burgenländischen Gemeinde finden sich keine Kinder unter den Opfern, zumindest unter den Personen, von denen das Geburtsdatum bekannt ist. Auffallend ist auch, dass fast 70 Prozent der Opfer älter als 55 Jahre waren.
  • Bei neun Menschen wurde eine Wiener Adresse als letzte bekannte Adresse angegeben, bei acht Personen Bratislava.
  • Auffällig ist auch, dass bei den Personen (18 Menschen) bei denen das Deportationsdatum bekannt ist, dieses bis auf zwei Ausnahmen im Jahr 1942 lag.
  • Untypisch im Vergleich zu den Daten der anderen Gemeinden ist auch, dass keine ehemaligen Kittseer Juden aus Westeuropa deportiert wurden. Oft hatten es Familien oder Einzelpersonen 1938 geschafft nach Frankreich oder Belgien zu fliehen, wo sie dann nach dem siegreichen Westfeldzug der Deutschen Wehrmacht von der Mordmaschinerie der Nationalsozialisten eingeholt wurden. Dass dieses Schicksal niemand aus Kittsee teilte, liegt vielleicht an der speziellen Vertreibungsgeschichte der Kittseer Juden.

Die folgende Tabelle zeigt die Anzahl der Kittseer Opfer, die im jeweiligen Jahrzehnt geboren wurden.

Zeitraum Personen
1850-1859
2
1860-1869
1870-1879
9
1880-1889
4
1890-1899
2
1900-1909
4
1910-1919
2
1920-1929
1930-1939

Informationen zu den Deportationen

Folgende Aussagen können auf Basis der Datenlage getroffen werden:

  • Die Gedenkblätter von Yad Vashem, die oft auf Angaben von überlebenden Angehörigen beruhen, enthalten aufgrund der historischen Umstände meist keine genaue Angaben über Deportationsort und Deportationszeitpunkt.
  • Anders als bei den restlichen ehemaligen jüdischen Gemeinden des Burgenlandes konzentrieren sich die Ausgangspunkte der Deportationen mit Wien, Bratislava und Ungarn auf drei Schwerpunkte. Die Deportationen fanden, abgesehen von den ungarischen Opfern, ausschließlich 1942 statt.
  • Auffällig im Vergleich zu den anderen burgenländischen Gemeinden ist auch ein relativ hoher Anteil an Menschen (Adolf Brunner, Johanna Löwy, Walter Max und Karoline Singer aus Wien sowie Paula Koch aus München), die nach Theresienstadt deportiert wurden.
  • Für fünf Personen (Josefine Deutsch, Rosalia Löbl, Charlotte Reisner, Regine Schwarz und Isidor Singer) war Žilina der Ausgangspunkt der Deportation. Sie alle kamen vermutlich zuerst aus Bratislava in das Ghetto von Žilina und wurden dann im Juni und Juli 1942 wahrscheinlich nach Auschwitz deportiert.[14] Nur bei Josefine Deutsch ist sowohl das Deportationsdatum (2. Juli 1942) als auch das Todesdatum in Auschwitz (17. August 1942) bekannt.

Bei der nachfolgenden Tabelle zeigt den Startpunkt der Deportation (= Spaltenüberschrift) und das Ziel (Bezeichnung der Zeile). Theresienstadt ist sowohl Ziel als auch Ausgangspunkt einer Deportation (=Überstellung). So wurden zum Beispiel drei Personen von Wien in das Lager Nisko deportiert. Das Lager Malines war für sieben Personen der Ausgangspunkt für die Deportation nach Auschwitz.

Über das weitere Schicksal der Menschen, welche in die Ghettos deportiert wurden, gibt es in der Datenbank keine Informationen.

Ziel Wien Žilina München Ungarn Prešov Summe
Auschwitz (KZ/VL)
5?
4?
9?
Dęblin (Ghetto)
1
1
Izbica (Ghetto)
1
1
Jugoslawien
1
1
Maly Trostinec (VL)
1
1
Riga (Ghetto)
1
1
Theresienstadt (KZ)
4
1
5
Summe:
8
5
1
4
1
19

Situation heute

Joachimhaus

Der berühmteste Spross der jüdischen Gemeinde war der 1831 geborene Violinist, Dirigent und Komponist Joseph Joachim. Bevor seine Familie im Jahre 1833 aus wirtschaftlichen Gründen nach Pest auswanderte, bewohnte sie in Kittsee ein Haus, das heute umgangssprachlich "Joachimhaus" genannt wird.[15] An dem unter Denkmalschutz stehenden Gebäude wurde 1931 eine Gedenktafel mit folgendem Inhalt angebracht:

„In diesem Hause erblickte am 28. Juni 1831 der Geigenkünstler Joseph Joachim, Direktor der Staatlichen Akademischen Hochschule für Musik[16] in Berlin (1869 - 1907) das Licht der Welt. Burgenländische Landesregierung im Verein mit Gesangsverein Liedertafel Kittsee und Ortsbevölkerung von Kittsee.“

Jüdischer Friedhof Kittsee

Der unter Denkmalschutz stehende Jüdische Friedhof Kittsee grenzt an den Schüttkasten des Alten Schlosses. Auf einer Fläche von mehr als 1500 Quadratmetern befinden sich etwa 230 Grabsteine, die das letzte Zeugnis der versunkenen jüdischen Gemeinde darstellen.[15]

Auf dem Friedhof liegt auch der Rabbiner Ascher Anschel begraben, der im 18. Jahrhundert eine Haggada, ein Handbuch, erstellt hatte, aus dem am Vorabend des w:PessachPessach-Festes gelesen und gesungen wurde. Durch diese Haggada wurde die jüdische Gemeinde in der gesamten jüdischen Welt bekannt.[17]

Literatur

  • Klaus Derks: Kattondorff. Die vergessene Judengemeinde von Gattendorf., Herausgegeben vom Verein zur Erforschung der Ortsgeschichte von Gattendorf 2010, ISBN 978-3-200-01970-6
  • Harald Prickler: Beiträge zur Geschichte der Burgenländischen Judensiedlungen, 1993, Eisenstadt, in Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland, Heft 92 (PDF auf ZOBODAT.at.)

Einzelnachweise

  1. VHS Burgenland - Gattendorf, www.vhs-burgenland.at, abgerufen am 23. September 2015
  2. Harald Prickler: BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DER BURGENLÄNDISCHEN JUDENSIEDLUNGEN, Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland Heft 92, Seite 78, Eisenstadt 1993
  3. Harald Prickler: BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DER BURGENLÄNDISCHEN JUDENSIEDLUNGEN, Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland Heft 92, Seite 82, Eisenstadt 1993
  4. Harald Prickler: BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DER BURGENLÄNDISCHEN JUDENSIEDLUNGEN, Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland Heft 92, Seite 94, Eisenstadt 1993
  5. 5,0 5,1 VHS Burgenland - Kittsee, www.vhs-burgenland.at, abgerufen am 9. Februar 2016
  6. Wiener Morgenzeitung, Webseite www.wien.gv.at, abgerufen am 9. Februar 2016
  7. Goethe Universität Frankfurt am Main - Wiener Morgenzeitung 1927, Webseite sammlungen.ub.uni-frankfurt.de, abgerufen am 9. Februar 2016
  8. Austria-Forum Dialektworte: Pompfüneberer, Webseite austria-forum.org, abgerufen am 10. Februar 2016
  9. Stammbaumprofil Emilie Emmy Auguste Hainisch, Webseite www.geni.com, abgerufen am 10. Februar 2016
  10. Österreichisch Jüdisches Museum - Kittsee, Webseite www.ojm.at, abgerufen am 10. Februar 2015
  11. Die burgenländisch-jüdischen Opfer der NS-Zeit, Webseite www.forschungsgesellschaft.at, abgerufen am 6. Februar 2016
  12. Opferdatenbank des DÖW, Webseite www.doew.at, abgerufen am 6. Februar 2015
  13. ZENTRALE DATENBANK DER NAMEN DER HOLOCAUSTOPFER, Webseite yvng.yadvashem.org, abgerufen am 6. Februar 2015
  14. Kehila Zilina, Webseite kehilazilina.sk, abgerufen am 11. Februar 2016
  15. 15,0 15,1 Marillengemeinde Kittsee - Ein historischer Spaziergang durch Kittsee, Webseite www.kittsee.at, abgerufen am 10. Februar 2016
  16. Akademische Hochschule für Musik 1869-1933, Webseite www.udk-berlin.de, abgerufen am 10. Februar 2016
  17. Der verborgene Judenfriedhof in Kittsee, Webseite burgenland.orf.at, abgerufen am 10. Februar 2016

Weblinks